Alles richtig - Gold für Anna
Erfolg im Radsport ist kein Zufall, sondern Ergebnis harter Arbeit. Der großartige Sieg von Anna Kiesenhofer im Olympischen Straßenrennen der Damen hat gezeigt, was möglich ist, wenn man alles richtig macht. Die wichtigsten Gründe, die zur größten Sensation in der heimischen Radsportgeschichte geführt haben, in einer Analyse:
Stark im Kopf. Wer sich keine Siege vorstellen kann, wird nie welche erleben! Anna Kiesenhofer hat an ihre Chance, das Rennen in Tokio gewinnen zu können, persönlich geglaubt. Auch wenn diese Chance sehr klein erschienen ist. Das mentale und geistige Vermögen der zierlichen Olympionikin ist der wichtigste Faktor für den beispiellosen Triumph.
Kondition. Kiesenhofer ist in absoluter Top-Form in Tokio angetreten. Die 30-jährige Niederösterreicherin aus Niederkreuzstetten hat die Kraft und die Ausdauer vieler Jahre als Triathletin, Radmarathon- und Radrennfahrerin – mehr als genug Kondition, um ein 137 Kilometer langes Rennen durchzustehen und bis ins Ziel ein hohes Tempo zu halten.
Leidensfähigkeit. Anna hat die Gabe, alles aus ihrem Körper herauszuholen und Schmerzen zu überwinden – eine Eigenschaft, die im Radsport besonders viel wert ist. Die Solo-Fahrt in der letzten Stunde des Olympia-Rennens hat die enormen Fähigkeiten im Einzelzeitfahren ebenso verdeutlicht. Kiesenhofer kann sich selbst sehr gut einschätzen, ist immerhin schon Fünfte der EM 2019 gewesen. Auch dieses Resultat ist beachtlich.
Akribische Vorbereitung. Anna hat ihr umfangreiches Training und ihre wenigen Renneinsätze perfekt auf den Tag X abgestimmt. Da sie keine World-Tour fährt und als Mathematik-Professorin in der Schweiz berufstätig ist, hat sie eine optimale Mischung aus Belastung und Entlastung gebraucht, die von ihr persönlich errechnet, genau analysiert und ideal umgesetzt wurde.
Strecke. Der Kurs des Straßenrennens in Tokio ist Anna Kiesenhofer praktisch auf den Leib geschneidert. Lange, schwierige Bergpassagen und relativ breite Straßen sind der vielfachen Staatsmeisterin (Straße, Berg und Einzelzeitfahren), die das Fahren im Feld gar nicht liebt, sehr entgegen gekommen.
Taktik. Der Mut, gleich nach dem Start zu attackieren, und mit einer kleinen Gruppe den entscheidenden Vorsprung auf die Konkurrenz herauszufahren, wurde belohnt. Der Antritt am letzten langen Anstieg, bei dem sie ihre beiden Fluchtgefährtinnen abgeschüttelt hatte, war erstklassig. Anna hat damit gerechnet, dass sie unterschätzt wird, und natürlich davon profitiert, dass die Favoritinnen aus den Niederlanden viel zu lange gezögert und zu spät reagiert haben. Die Rechnung ist aufgegangen.
Umfeld. Die einzigartige Leistung von Anna Kiesenhofer ist in erster Linie eine Einzelleistung. Dennoch gebühren ihrem Umfeld (Partner und Familie) und ihrem Team Cookina Graz mit dem Sportlichen Leiter Klaus Kabasser, der auch als ÖRV-Nationaltrainer für die Frauen fungiert, Dank und Anerkennung für die wichtige Unterstützung zur richtigen Zeit. Denn selbst die beste Athletin braucht zur Entfaltung und Verwirklichung die nötige Ruhe und viel Verständnis. Da hat offenbar alles gepasst! Herzliche Gratulation zur historischen Goldmedaille!
Text: Andy Blümel
Fotos: Mario Stiehl / ÖRV